MORD-LOS
Die Tote vom Kälberteicher Hof
Roman
Zum Inhalt:
Reiner Lutter, den treue Leserinnen und Leser bereits von den Romanen "Bitterblue" und "Toskana Blues" her kennen, ist auch der Protagonist von "MORD-LOS". Die drei Romane bilden die "Lutter-Trilogie" (und wurden 2016 zu einer Tetralogie erweitert).
Lutter hat wieder einmal eine Beziehung zu einer von ihm sehr geliebten Frau, der Studienrätin Cornelia "Conny" Fromm, in den Sand gesetzt und will sich daraufhin in einer Klinik wegen Depressionen behandeln lassen. Schließlich soll ihm das nicht noch einmal passieren!
In ländlicher Abgeschiedenheit beginnen die Therapien. Dabei gerät er in den Verdacht, als Jugendlicher auf der Rheininsel Kühkopf 45 Jahre zuvor eine seither spurlos verschwundene junge Frau erschlagen und in der Mönchau vergraben zu haben. Nachdem Lutter (endlich) herausgefunden hat, dass das verschwundene Mädchen die Schwester seiner verflossenen Liebe Conny ist, wird er selbst zum Detektiv und will die Frage seiner Schuld klären.
Wo hat Lutter nun die Leiche vergraben? Hier etwa?
Leseprobe: (Kapitel 17)
Die Liste
Seit Conny endgültig in Lorsch ist, klingelt das Telefon
viel öfter als sonst. Hinz und Kunz rufen an und verlangen nach ihr. Dies ist
ein wenig mit Schwierigkeiten verbunden, denn der Apparat steht in Lutters
Arbeitszimmer und Conny hält sich meistens, wenn sie aus ihrer
Wald-Michelbacher Schule zurückgekommen ist, im Keller auf. Dort hat sie, über
eine wohnungsinterne Treppe erreichbar, einen Raum belegt, in dem sie neben
ihren umfangreichen Arbeitsmaterialien auch Bilder und Gegenstände verwahrt,
die oben weder im Wohn- noch im Ess- oder Schlafzimmer und erst recht nicht in
Lutters Stube Platz gefunden haben.
Läutet also das Telefon für Conny, muss Lutter zu ihr
nach unten steigen und den Hörer übergeben. Dann ist die Leitung meist für
eine halbe bis eine ganze Stunde belegt, gelegentlich noch viel länger. Grund
genug für ihn, Conny die Anschaffung eines ISDN-Anschlusses mit zwei
Telefonnummern und Apparaten vorzuschlagen. Immerhin habe sie den ja bisher
bereits in Gießen gehabt, obwohl sie dort alleine wohnte und wohl kaum imstande
gewesen sei, mit zwei Leuten zur gleichen Zeit zu reden.
Weit gefehlt, muss Lutter erkennen.
„Natürlich habe ich das öfter mal gemacht. Was denkst
du denn?“
Und brüsk weist sie Lutters harmloses Ansinnen zurück.
„Zu teuer!“
„Und wenn wir das Telefon in dein Zimmer nach unten
verlegen?“
Auch das findet keine Gegenliebe.
„Damit ich abends, wenn ich im Wohnzimmer bin, immer
nach unten rennen muss? Nein, alles bleibt so, wie es ist!
An einem schönen Spätsommer-Nachmittag klingelt wieder
einmal das Telefon. Lutter ist sofort dran, erkennt ihm Display eine ellenlange,
ihm vollkommen unbekannte Nummer und drückt die Empfangstaste.
„Hallo!“, sagt er, interessiert daran, wer sich denn
da die Mühe gegeben hat, ihn oder Conny anzuwählen.
Eine weibliche Stimme fordert in harschem Ton, Conny
sprechen zu können.
„Und wen darf ich melden?“, fragt Lutter ganz devot,
jedoch nicht ernst gemeint.
„Anne!“
„Kenne ich nicht!“, sagt Lutter ganz der Wahrheit
entsprechend.
„Kann ich jetzt Conny haben oder nicht?“
„Aber natürlich! Ich verbinde!“
Und beim Hinabgehen trällert er, wie so oft, die
Internationale.
„Bitte sehr, Liebste“, unterbricht er das Kampflied
der Arbeiterklasse, als er zum Schreibtisch Connys gekommen ist, „eine gewisse
Anne!“
Conny reißt ihm den Hörer aus der Hand.
„Anne, wie lieb!“, flötet sie mit einer wahren
Inbrunst, „endlich ...“
Lutter macht, dass er wieder hinauskommt. Leise und
behutsam schließt er die Tür und summt auf der Treppe die dritte Strophe des
Loblieds.
Nach so viel Mühe mit dem Treppenlaufen, meint er, habe
er ein paar Minuten Ruhe verdient. Er legt sich auf sein blaues Ikea-Sofa,
zieht sich ein Kissen unter den Kopf und ist auch gleich eingeschlafen.
Doch seine verdiente Ruhe währt nicht lange. Conny
taucht bei ihm auf und ist, das erkennt er trotz seiner Schlafmützigkeit,
geladen.
„Ich verbitte mir das!“, faucht sie ihn an, „meine
Freundinnen so zu behandeln. Was denkt Anne jetzt von mir, geschweige denn von
dir? Wenn mich jemand anruft, dann möchte ich den Hörer kommentarlos gebracht
bekommen. Und ohne jede Begleitmusik!“
„Aber du hast doch sogar ein Marx-Poster bei dir da
unten hängen, da werde ich doch mal ...“
„Nein, ich bestehe darauf, dass du das so nicht mehr
machst!“
„Woher soll ich wissen, dass das wieder eine Freundin
von dir ist?“
Conny macht kehrt und schließt die Tür so, dass Lutter
merkt, wie sauer sie ist.
„Humorloses Volk!“, denkt er sich, zieht seine Schuhe
an und holt sein Fahrrad.
„Ich fahre ein bisschen in die Weschnitz-Aue“, denkt
er, „und überlege mir dabei, wie ich morgen das Plusquamperfekt in der 5.
Klasse einführe.“
Als er nach mehr als einer Stunde mit sich und der Welt
zufrieden wieder nach Hause kommt, liegt auf seinem Schreibtisch eine Liste.
Connys Freundinnen
und Freunde steht dort als Überschrift und es folgen, fein nummeriert, 27
Namen, fünf davon männlichen Geschlechts.
„Siehe da!“, findet er, „fünf Freunde. Sogar
Herbert ist dabei!“
Ihm ist noch nicht ganz klar, was er davon halten soll.
„Am besten gelassen bleiben!“, beschließt er und legt die Liste
zusammengefaltet in eine Schublade.
Da kommt Conny die Treppe herauf und zu ihm ins Zimmer.
„Wie wäre es, wenn ich dich gleich zum Italiener
einlade?“, fragt sie und schaut ihn dabei so lieb und nett an, dass
Widerspruch zwecklos ist.
„Aber vorher brauche ich noch eine kleine
Kuscheleinheit von einer wunderbaren Frau!“, antwortet er und zieht sie ins
Wohnzimmer.